Satire, Alltägliches und andere Absurditäten

 

Anstatt Schreiben

Lange schon hatte ich mir vorgenommen, einen Text zu aktuellen Geschehnissen zu schreiben. Also setzte ich mich an meinen Schreibtisch und las die Tageszeitung. Als Erstes fiel mir ein Bild von einem riesigen Feuer und das Wort Island ins Auge. Ich war schockiert. Verbrannten die Isländer schon wieder Unmengen Geld? Das Rätsel löste sich schnell. Ein Vulkan war ausgebrochen, in Island eigentlich nicht sehr ungewöhnlich. Nur dieses Mal beeinträchtigte eine Aschewolke den Flugverkehr in Nordeuropa. Auf einigen Flughäfen durften keine Flugzeuge mehr starten oder landen. Begründet wurde dies mit der Gefahr, dass Triebwerke durch Asche hätten ausfallen können. Jetzt war mir auch klar, weshalb es ein Rauchverbot in Flugzeugen gibt. Und da glauben Terroristen doch tatsächlich, sie müssten Teppichmesser in Flugzeuge schmuggeln. Ich blätterte weiter. Politisch gab es nur das übliche Geplänkel, also nichts, was ich  für erwähnenswert hielt. Regionalpolitisch schon gar nicht, so direkt nach der Winter- und somit kurz vor der Sommerpause. Schnell war mir klar, dass ich mir heute besonders Mühe geben musste. Zugegeben, mit etwas mehr Gespür für Feinheiten und einer ordentlichen Portion Schreiblaune hätte ich trotz dem schnell was zu Papier bringen können. Doch viel lieber dachte ich nach, was ich alles hätte tun können, anstatt zu schreiben.

            Über die Zeitung gebeugt und mit dem Kinn auf meinen Fäusten träumte ich von einem krümelfreien Boden und geleerten Mülleimern. Das wäre in diesem Moment jedoch eine eben so unattraktive Arbeit gewesen wie Schreiben. Ich beschloss, nur noch das Schöne zu betrauern, das ich verpasste. Ich saß wie angewurzelt in meinem Stuhl, immer noch mit dem Vorsatz, anschließend mein ursprüngliches Vorhaben zu verwirklichen. Nach einem erregenden Traum von einem heißen Erlebnis mit Nicole Kidman auf meinem Bürostuhl war mir der Grund für meine Schreibverhinderung klar. Er lag eindeutig in meinem Sitzmöbel. Wie konnte ich so lange schon auf diesem schrecklich unbequemen Stuhl sitzend arbeiten? War er gar der Grund für meinen mäßigen Erfolg? Schnell war dieser gegen einen Stuhl aus dem Esszimmer ausgetauscht. Volltreffer. Er wirkte wunderbar belebend, weil er mich in eine aufrechte Sitzhaltung zwang. Somit war nun ein Wegdösen unmöglich. Die Freude über das neue Arbeitshilfsmittel hielt jedoch nicht lange an. Der Schreibtisch war nun deutlich zu niedrig. Kein Problem. Auch das ließ sich lösen. Ich tauschte meinen schweren Eichenschreibtisch gegen den Tisch aus dem Esszimmer aus. Das Hin- und Herschieben der Tische hinterließ zwar tiefe Schrammen im alten Fischgrätparkettboden, sorgte jedoch für einen ordentlichen Adrenalinpegel. Jetzt konnte es losgehen. Und ich hatte sofort ein Thema: Afghanistan. Ja darüber wollte ich schreiben. Mein Text sollte die Situation der deutschen Soldaten in Afghanistan behandeln. Soldaten, die auf Grund ungeeigneter Waffen nicht in der Lage waren, während ihrer Explosion wirksam zurück zu schlagen. Sie mussten sich deshalb die meiste Zeit hinter hohen Mauern verstecken. Während ich über die Logik meiner Gedanken nachdachte, fiel mir auf, dass ich ebenfalls hinter einer großen Mauer war. Genauer gesagt vor einer solchen. Klar konnte ich nichts Vernünftiges schreiben, wenn ich von meinem Arbeitsplatz aus nur auf eine Wand starren konnte. Ich musste für eine freiere Sicht sorgen. Also schob ich das Kakteenregal meiner Freundin an die schreibhemmende Wand und den Esstisch unter das frei gewordene Fenster.

            Nun sah ich allerdings, vom Tageslicht hell beleuchtet, die vielen Ränder von Tellern, Tassen und Gläsern. Ich versuchte, mich daran zu erinnern, wer zuletzt an diesem Tisch gesessen hatte und an welcher Stelle. Schnell stellte ich fest, dass Karl der Herr der Ringe war. Der Karl, der immer mit vollem Mund sprach und somit noch ganz andere Spuren auf der seinem Platz gegenüber liegenden Seite hinterlassen hatte, die ihn zweifelsfrei überführten. Im Gegensatz dazu verstand es seine Freundin Jasmin, trotz der selbst gewählten Behinderung durch zehn Zentimeter lange Fingernägel, fast gar nicht zu kleckern. Meine Freundin und ich lagen im langweiligen Mittelfeld. Während ich an die schlechten Tischmanieren Karls und das langweilige Gespräch mit den beiden dachte, schnitzte ich mit meinem Schweizer Taschenmesser gedankenverloren kleine Gräben um die Spuren in unseren Kirschbaum-Esstisch. Bald jedoch konzentrierte ich mich wieder auf mein Vorhaben. Ich sah auf und wollte nun endlich anfangen zu schreiben. Beim Blick durch das Fenster verging mir die Lust schnell wieder. Nie zuvor hatte ich diese hässliche Dachpappefabrik so genau gesehen. Ich sah mich um. War ich überhaupt in meiner Wohnung? Ich war. Sicher war diese Fabrik für einen Bericht über ein Kriegsgebiet nicht die schlechteste Inspirationsquelle. Gleichwohl wollte ich in Zukunft nicht ausschließlich düstere Szenarien beschreiben. Ich fand, das Tagesgeschehen hatte – wenigstens gelegentlich – Positives parat. Beim Blick durch das Fenster war ich mir allerdings nicht mehr so sicher. Also stand ich erneut auf und holte zwei der größten Kakteen aus dem Regal und stellte sie auf den Küchentisch. Nach kurzem Justieren war die Fabrik fast gänzlich verdeckt.

            Als ich die Kakteen genauer betrachtete, fiel mir auf, dass deren Farbe eher ein welkes Braun als ein Grün war. Das trieb mich wieder vom Stuhl, um diese und die im Regal, die noch gebrechlicher aussehenden, zu gießen. Ärger stieg in mir auf. Meine Freundin hatte mir beim Zusammenziehen versprochen, dass ich mich keinesfalls um die Kakteen zu kümmern hatte. Nun das. Die Kakteen raubten mir genau die Zeit, die ich zum Schreiben reserviert hatte. Somit ging es eindeutig auf das Konto meiner Freundin, dass der Tag gänzlich ohne eine geschriebene Zeile verstrich. Ebenfalls ihre Schuld war es, dass ich nun ein Frustbier in der Eckkneipe trinken gehen musste – und ein paar weitere Biere. Klar, dass deshalb das von mir versprochene Candle Light Dinner im von ihr neu eingerichteten Esszimmer ausfiel. Alles ihre Schuld. Und, wie war das noch mal mit Afghanistan? Mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Ich erinnerte mich, dass sie mir vor längerer Zeit erzählt hatte, dass sie in ihrer Hippiezeit mehrere Monate durch Afghanistan gereist war...

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